top of page
Suche
  • ThatsLife

Nudge me if you can...

Aktualisiert: 22. Apr. 2019


Den Philosophen Slavoj Zizek und den Soziologen Colin Crouch vereint ihr Widerwillen gegen die coole, moderne Form der post-politischen Social Engineering, gegen die Unterdrückung mit dem seidenen Handschuh, nicht mit der stählernen Faust. Sie nennt sich "nudging". Sie brauchen sich nicht zu schämen, Ihnen ist das sicher auch schon passiert, eigentlich, erst kürzlich, uns allen hier...


Vor einiger Zeit begannen die Wiener Linien sich Sorgen um die Ausdünstungen ihrer Fahrgäste zu machen. Nachdem man den Wienern und ihren Gästen jahrzehntelang anscheinend zumuten konnte, mit ungewaschenen, verschwitzen, alkoholfahnenausatmenden oder überparfümierten Mitmenschen den öffentlichen Verkehrsraum zu teilen, war dies 2018 vorbei. Der unaufhaltsame Fortschritt der Zivilisation hat nun auch den Luftraum in der U-Bahn erreicht. Die Wiener Linien reagierten im Sommer mit der Verteilung von Deos an die Fahrgäste der großteils oberirdisch verlaufenden und daher der Sonneneinstrahlung besonders ausgesetzten U6.


Was als lustiger Werbegag für mehr Körperhygiene begann, nahm in der nächsten Runde schon ernstere Züge an. Wegen der zahlreichen Beschwerden - erhoben, indem man in einer Onlineumfrage allen, die sich beschweren wollten, die Gelegenheit gab, dies zu tun - sah sich das Verkehrsunternehmen gezwungen, gegen "stark riechenden Speisen" (dezitiert Pizza, Kebab und - damit es nicht zu xenophob wirkte - auch Leberkässemmeln) vorzugehen, deren Verzehr in der auch in dieser Hinsicht offenbar wieder besonders geplagten U6 vorerst untersagt wurde.


Wie in einem schlechten Film ahnen Sie wahrscheinlich schon, wie die Geschichte ausging: Mit gebührendem zeitlichen Abstand wurde der Verzehr jeglicher Speisen in der U-Bahn verboten. Wieso ist das Nudging? Woran erkennt man es? Und wie funktioniert es?


Nudging ist eine Strategie, die benutzt wird, wenn ein Akteur in der Öffentlichkeit etwas durchsetzen möchte - wozu er durchaus gute Gründe hat - wogegen er aber in unserer leicht erregbaren Social Media Welt mit Widerstand rechnet. Wohl gemerkt mit Widerstand in Gestalt von Online-Gemaule, echten, handfesten Widerstand füchtet heute eh keiner mehr. Man geht also nicht hin und sagt: "Wir, die Wiener Linien, verbieten Essen in unseren U-Bahnen, weil uns die Reinigungskosten zu hoch sind." Dagegen könnte - gerade bei einem öffentlichen Verkehrsunternehmen - der Bürger als BÜRGER ja eigentlich widersprechen. In der traditonellen Welt der politischen Öffentlichkeit könnte der sagen: "Ich, der Bürger, in dessen Auftrag du,. die Wiener Linien, diese Transportinfrastruktur betreibst, will aber in der U-Bahn essen, und weil ich zahl und du in meinem Auftrag handelst, schaff ich an!"


In der postpolitischen Welt, in der wir heute Leben, begreift sich - so die Kritik von Colin Crouch - der Bürger aber gar nicht mehr als Herr über die öffentlichen Dienste; weil diese ihm das seit längerem ausgeredet haben, indem sie ihn konsequent als Kunden behandeln. Eigentlich eine absurde Situation, in der der Herr im Haus von seinen eigenen Bediensteten als zahlender Gast behandelt wird. Damit er sich aber - wenn man ihn wegen irgendwas zornig macht - nicht daran erinnert, dass es eigentlich anders ist, benutzen Institutionen und Unternehmen seit geraume Zeit diese neue Strategie.


Woran erkennt man jetzt, dass es sich in diesem fall um Nudging handelte? Naja, weil die Wiener Linien wenig subtil waren und sich einige Patzer erlaubt haben. Zum einen waren sie etwas zu schnell. Die rasche Folge der Schritte war etwas stümperhaft. Zum anderen haben sie einige wirkliche Schnitzer in ihrer Kommunikation begangen. Wir erinnern uns, der üble Geruch der Speisen und ihre Auswirkungen auf die zarten Nasen der Fahrgäste wurden zuerst als Grund vorgeschoben.


Schon damals lief was schief, als man treuherzig erklärte, dass der Verzehr, aber nicht der Transport von stark riechenden Speisen verboten werden solle. Wäre auch schwer zu argumentieren gewesen, dass ich meine Mitnehmpizza nicht mit dem Öffi heimbringen darf. Geht gar nicht, schon gar nicht in einer "grünen" Stadt, aber darum ging's ja auch nie.


Der nächste Ausrutscher passierte, als mit der Implementierung des Essverbotes gleich eine - sicher von langer Hand (öffentliche Aufträge dauern...) vorbereitete - Plakatserie geschalten wurde, in der neben Kebab und Pizza auch das Schokocroissant inkriminiert wurde. Nur Menschen mit einer ausgeprägten Butter-Schokolade-Allergie haben sich, glaube ich, jemals vom Geruch von Schokocroisants bedroht gefühlt. Und zuletzt wurde noch ruchbar, dass der Verzehr von all diesen Lebensmitteln in Bussen und Straßenbahnen sowie auf den Bahnsteigen weiterhin gestattet ist.


Das ergibt nun endlich Sinn: Die U-Bahnen, die vor allem in den Nächten vor dem Wochenende nun ja durchfahren, kommen einfach nicht mehr oft genug in die Remise um gründlich gereinigt zu werden. Um dem entegenzuwirken drängen sich schon seit einiger Zeit unglücklich dreinblickende Reinigungskräfte während des Betriebes durch die überfüllten Silberpfeile. Die sind aber offenbar nicht effektiv genug und eine Kombination aus Faktoren - von denen auch das abnehmende Bewusstsein der Fahrgäste für angemessenes Verhalten in der Öffentlichkeit (aber dazu ein andermal) beiträgt - führen tatsächlich dazu, dass die U-Bahnen verdrecken. Busse und Straßenbahnen, die zumindest die Nacht über in der Remise stehen, sind da weniger betroffen und die Haltestellen kann man jederzeit reinigen.


Der so hinters Licht geführte Souverän hätte jetzt eigentlich zornig aufstampfen und sein Recht auf die Leberkässemmel in der U-Bahn zurückfordern können. Tut er aber nicht, weil Nudging eben funktioniert. Zu dem Zeitpunkt, wo das Essverbot ausgerollt wurde, hatte man längst vergessen, wie das alles angefangen hatte und erinnert sich vielleicht noch undeutlich, dass es irgendwas mit Gestank zu tun hatte.


Die Kritik des Philosophen Zizek zielt nun aber gerade darauf. Es ist zwar hinerlistig, aber nicht staatsgefährenden, wenn Unternehmen mit Nudging ihre Kunden in bestimmte Kaufentscheidungen 'stubsen'; wenn aber politische und öffentliche Akteure sich derselben Strategie bedienen, um den Souverän davon abzulenken, dass sie politische Entscheidungen treffen, zu denen er eigentlich eine politische Meinung haben sollte, ja Entscheidungen über sein Leben - wo er was, wie, mit wem, auf welche Weise und ob überhaupt tun darf - wenn also die vielen, kleinen Klauseln des 'Gesellschaftsvertrages' klammheimlich geändert werden, dann wäre doch Grund zur Beunruhigung.


Beunruhigung ist aber genau das, was durch Nudging vermieden werden soll. Und es funktioniert. Schauen Sie sich mal um, wozu sie sich 'stubsen' haben lassen, was Sie empört abgelehnt hätten, wenn man es direkt von Ihnen gefordert hätte.


Spot the Nudger: Nuding beginnt immer damit, dass plötzlich ein Problem oder Misstand 'entdeckt' und medial aufgebauscht wird, der bisher eigentlich den meisten Leuten ziemlich wurscht war. Lassen Sie sich von dem scheinbaren Problem nicht ablenken. Achten Sie vielmehr darauf, welche Lösung dieses scheinbaren Problems angeboten wird und wer dann was davon hat. Dann haben Sie den Nudger und seine wirklichen Ziele wahrscheinlich entdeckt.

47 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
bottom of page